„Vor dem Orkan war hier nur finsterer Wald“

 

Fotos: Martina Dobrusky

Text: Michael Gruber

 

Martin Zoidl ist leidenschaftlicher Wetterfrosch und als Storm-Chaser auf der Jagd nach Extremwetter. Im Bayerischen Wald gibt es das ganze Jahr über das volle „Wetter-Programm“.

 

 

Du hast dir im Netz den Ruf als Wetterfrosch vom Unteren Bayerischen Wald erarbeitet. Wie bist du dazu gekommen?   

Auf Facebook gab es eine Zeit, da haben die Leute immer Fotos gepostet, wenn es geschneit hat zum Beispiel, oder rote Sonnenuntergänge. Meine Idee war, das könnte man doch zentral sammeln. Ich habe eine Gruppe gegründet und dann ging es los. Erst waren es 100 Abonnenten, 1000, dann 10 000 Likes und heute noch viele mehr. Das Wetter ist ein Thema, das uns alle betrifft,  egal ob Landwirte oder zu Hause, wenn man wissen will ob man die Wäsche reinholen soll. Dazu kommt, dass die Unwetterwarnungen vom DWD oft zu pauschal und ungenau für unsere Region sind. Das liegt wohl auch daran, dass man in München die örtlichen Gegebenheiten weniger gut kennt. So kam die Sache irgendwie unbeabsichtigt ins Rollen. Ich hatte nie den Anspruch, mich als Experte bezeichnen zu lassen, eher bin ich jemand, der sich in der Freizeit gerne mit Wetter und Klima beschäftigt.

 

Was fasziniert Dich an dem Thema Wetter?

Die Naturgewalt. Als kleiner Mensch stehst du vor einer riesigen Naturgewalt, die du nicht beeinflussen kannst. Du musst es nehmen, wie es kommt. Auch die Unberechenbarkeit. Wenn sich eine Gewitterlage abzeichnet, das musst du ja oft schon drei Tage vorher planen. Du möchtest ja coole Fotos machen. Dabei stellen sich viele Fragen: Wie plane ich meine Tour und den Tag? Kommen die Gewitter eher vormittags oder nachmittags? Wie lässt sich das mit den Arbeitszeiten vereinbaren? Es ist mehr ein Strategiespiel, dass du zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bist. Fünf Minuten später kannst Du das Foto nicht mehr machen, weil das Wetter schon wieder weitergezogen ist. Das ist der Nervenkitzel dran.

 

Was macht für dich ein gutes Foto von einem Gewitter aus?

Ein gutes Foto hast du, wenn du fünf Minuten vor dem Gewitter da bist und die ganze Zelle vor dir hast. Die Kontraste, der schwarze Himmel, das grüne Feld, über dir noch blauer Himmel, hinter den Wolken scheint vielleicht noch die Sonne und es gibt ein Farbenspiel. Das ist das Ziel, wenn das Gewitter los geht, ist es uninteressant, weil dann stehst eh im Regen. Dann kannst du nichts mehr anderes tun, als dich ins Auto zu setzen und heimzufahren.

 

Wird das nicht sehr riskant, sich einer Zelle zum falschen Zeitpunkt zu nähern? 

Ja, wenn du in der Unterführung stehst, kann es sein, dass du vom Wasser weggeschwemmt wirst. Wenn ich weiß, dass 200 Liter Regen angekündigt sind, würde ich da nicht reinfahren, dann ist das Tabu. Blitzschlag-Gefahr besteht natürlich ohnehin. Das Beste ist immer, wenn Du entfernt vom Gewitter bist und hast es als Panorama vor Dich.

 

Welches Wetterereignis war für dich der Höhepunkt bei deinen bisherigen Beobachtungen?

Das war definitv der Gewittersturm Kolle im August 2017, unvergessen. Vom Morgen weg war es schon drückend schwül, die Wettermodelle standen auf Anschlag mit den Berechnungen. Kräftiger Höhenwind, große Energie in der Luftmasse, da musste die der Himmel am Abend gezwungenermaßen explodieren. Als es so weit war, haben wir bei einem Spezl zu Hause das Bayern-Spiel geschaut, im Fernsehen sah man schon den Wolkenbruch. Auf dem Weg zu uns hat sich das Gewitter nochmal verstärkt, dann tobte es los, mit Stromausfall und anschließend  war der Himmel über dem Landkreis blau gefärbt von den Lichtern der Einsatzfahrzeuge. Gespenstisch. Am nächsten Tag zeigte sich dann, dass ganze Wälder dem Erdboden gleichgemacht wurden. Gut, dass ich da nicht unterwegs war.

  

 

Wie haben solche Stürme das Bild des Dreisessel-Massivs geprägt?

Ein großer Teil des Waldes am Dreisessel  wurde vom Orkan Kyrill im Jahr 2007 weggefegt. Davor war hier oben auf dem Gipfel alles dicht bewachsen, nur von den Felsblöcken aus hättest du hier einen vergleichbaren Panoramablick gehabt. Vor dem Kyrill war der Dreisessel touristisch nicht so interessant. Vorher war gab es hier nur finsteren Wald. Erst nach dem Orkan ist der Dreisessel zu einem Besuchermagnet geworden. Kyrill war im Gegensatz zu Kolle ein großes atlantisches Tief, ein Wintersturm, die entstehen nicht lokal, sondern durch Temperaturgegensätze am Meer. Es war grau in grau, also hätte es auch nichts Interessantes zum Fotografieren gegeben. Und ein Auto zum Rausfahren hab ich eh noch nicht gehabt.

 

Wie macht sich der Klimawandel im Bayerischen Wald bemerkbar?

Anhand von lokalen Wetterstationen lässt sich nachweisen, dass es im Sommer deutlich wärmer wird. Zunächst muss man aber einen Unterschied zwischen Sommer und Winter machen. Wie warm es im Winter wird, hängt von der Luftströmung ab. Bei einer Westströmung vom Atlantik wird es ein warmer Winter, bei einer Ostströmung aus Russland wird es ein kalter Winter, auch bei weiterer Klimaerwärmung.  Im Sommer gibt es keine  großen Luftströmungen. Weil es keine Temperaturgegensätze auf der Nordhalbkugel gibt, fehlt der Jetstream, der die Wettersysteme antreibt. Dadurch sind aber auch die Schwankungen im Sommer nicht so groß. Da siehst du deswegen noch eindeutiger den Trend, dass die Temperaturen in den letzten 20 Jahren langfristig nach oben gehen. Es gibt quasi keinen kalten Sommer mehr. Die größte Gefahr bei uns sind Trockenheiten, das kann man auch so beobachten. Dabei ist es aber nicht so, dass es weniger regnet. Die Jahresniederschlagsmengen bleiben konstant, aber sie verteilen sich auf weniger Tage. Dadurch, dass es heißer wird, verdunstet aber mehr und unter dem Strich bleibt weniger übrig.

 

Was gefährlich ist das für Natur und Mensch?

Bei trockenen Sommern werden besonders Fichten geschwächt, die eigentlich ein kühleres Klima gewohnt sind. Das ist der Nährboden für den Borkenkäfer, sobald ein Baum befallen ist, vermehrt sich dieser wie die Pest. Der gibt dem Baum den Todesstoß, die eigentliche Ursache ist aber die Trockenheit, die das Immunsystem des Baums schwächt, nicht nur bei uns, sondern in ganz Deutschland. Und die Gewitter werden auch heftiger  – wenn es wärmer wird und mehr Dampf in der Luft ist, schepperts natürlich um so mehr. Das hat uns Kolle ja eindrucksvoll demonstiriert.

 

Im benachbarten Tschechien sorgte im Sommer 2021 ein heftiger Tornado für schwere Schäden in Städten und Dörfern. Könnten solche Ereignisse auch den Bayerischen Wald treffen?  

Jederzeit, es gab sie in Deutschland auch schon immer, die Aufzeichnungen reichen fast bis ins Mittelalter. Man muss nur vorsichtig sein, wenn man behauptet, es würden mehr. Tornados entstehen nicht alleine durch Hitze und Wasserdampf, sondern vor allem auch durch unterschiedliche Windströme in der Höhe, die für Rotation sorgen. Und durch den nachlassenden Jetstream werden die Höhenwinde ja schwächer, also müsste so gesehen die Gefahr sogar abnehmen. Schwere Tornados wie in den USA hat es bei uns z.B. im Jahr 1764 gegeben, in Mecklenburg , das war ein F5, der höchste Wert in der Skala. Warum das Gefühl entsteht, dass Tornados zunehmen, liegt zum Teil auch an den Medien. Jedes Foto landet heute im Internet. Früher war es  der Bericht über eine Windhose auf Seite 25 in der Lokalzeitung, heute geht ein Tornado-Video im Internet viral. Es ist aber das selbe Ereignis.

 

Was hat der Dreisessel-Berg für einen Einfluss auf das Wetter?

Der Einfluss eines Gebirges ist vielseitig Bei einer Westströmung wird es ein warmer und ein niederschlagsreicher Winter. Der Gebirgszug an der Grenze hoch bis zur Oberpfalz und runter bis nach Linz sorgt dafür, dass sich auf der Westseite zusätzlicher Niederschlag staut. Die Wolken steigen auf und kühlen ab. Weil warme Luft aber mehr Niederschlag halten kann als kalte, regnet bzw. schneit es ab. Dadurch haben wir auf der Westseite Niederschlagsspitzen bei über 2000 Millimeter, was schon extrem viel ist. Das sind einige Hundert Liter mehr, alleine dadurch, dass die Wolken angestaut werden.  Wenn es einen kalten Ostwinter gibt, treibt es die Luft aus dem Osten den Hang hoch und es gibt Niederschlag im Böhmerwald drüben. Über dem Grenzkamm hängen dann die Wolken, und du siehst, wie sie sich beim Absteigen zu uns in den Westen auflösen, weil sie sich erwärmen. Du hast auf der einen Seite Sonnenschein und auf der anderen Seite eine graue Nebelsuppe oder sogar Schnee. Wenn die Wetterlagen vorbei sind, gibt es oft das Phänomen, dass auf der einen Seite der Grenze 30 Zentimeter Schnee liegen und auf der anderen Seite ist alles grün.