Fotos: Martina Dobrusky, Evi Lemberger
Text: Michael Gruber
Georg Rauscher (57) hat den Deutschen Meistertitel im Gleitschirmfliegen im Jahr 2012 gewonnen. Der Brotjacklriegl hat bei ihm die Liebe zur Fliegerei geweckt.
Wie fühlt es sich an, wenn man auf der Rampe hoch über dem Büchelstein steht und in den Abgrund startet?
Man ist sehr angespannt, aber es reizt einen unbandig. Wenn man den ersten Schritt gemacht hat, gibt es kein Zurück mehr. Du bist in der Luft und du bist vogelfrei. Wenn die Thermik passt, bist du plötzlich Hunderte Meter über dem Berg und siehst alles von oben. Die Menschen werden kleiner und das Schöne ist, es ist so ruhig, es ist wirklich ruhig da oben. Du konzentrierst Dich auf die Winde, auf die Thermik und auf die Wolken. Du bist nur für Dich, da ist kein Handy, keiner, der dir reinredet. Und die Landschaft, der Nationalpark, der fasziniert mich endlos. Ich bin hier im Woid oft bis zu acht Stunden in der Luft. Das macht das Herz dann schon frei, muss ich sagen. Das ist das erst mal und das zweite Mal so. Ein richtiger Flieger, der erlebt das auch noch nach 15 Jahren so.
Was macht für Dich den besonderen Reiz der Gegend um den Brotjacklriegl aus?
Der Brotjacklriegl und der vordere Bayerische Wald hat sich fliegerisch ein wenig herauskristallisiert. Ich komme aus Straßkirchen und bin eigentlich kein Woidler. Aber ich verbringe jede freie Minute im Bayrischen Wald, seit Jahrzehnten schon, mittlerweile bin ich schon anerkannt von den Woidlern. Die Gemeinschaft macht es aus, es ist einfach ein anderer Schlag, das Gemütliche. Von der Rampe aus siehst Du an klaren Tagen in die Alpen wie mit einem Fernglas. Wenn Du da 100 oder 200 Meter drüber fliegst, sind es ganz schöne Landschaften. Früher sind wie hier bis zu zehn Mal gestartet und gelandet, das war damals so üblich. Die Thermik hatte man früher noch nicht verstanden. Da war immer der Wind entscheidend.
Wie hält man sich denn bis zu acht Stunden in der Luft?
Thermik entsteht ja, wenn warme und kalte Luft zusammenstößt. Der Wald ist kalt, die Wiese ist warm, vielleicht kommt ein Schatten rein und genau in diesem Moment löst sich die warme Luft ab und steigt nach oben. Mit dieser Luft steigst Du auf. Der Brotjacklriegl ist ein richtig schöner Thermik-Auslöser. Er steht so richtig schön da mit seinem Turm und von allen Seiten geht der Berg nach oben, von Langfurth her, als nord- oder westseitlich, oder von Zenting her. Es ist ein Sammelbecken für warme Luft. Genau über dem Turm kreist Du dann nach oben und hast alles unter Dir. Das macht es sehr schön, Du hast die Leute irgendwann ganz klein unter Dir und sagst Dir, das ist das Leben.
Du hast zunächst mit dem Drachenfliegen begonnen. Wie bist Du dazu gekommen?
Das Drachenfliegen war zunächst eine Modeerscheinung. Mein Bruder war ein wilder Bursch und der hat sich dafür interessiert. Ich war der Brave und habe immer geschaut, was er macht. Er hat mir gezeigt, wie das funktioniert und ich dachte mir, ich möchte es auch probieren. In den Anfangszeiten waren hier Zuschauer ohne Ende. Bei der Bayerischen Meisterschaft, die hier stattgefunden hat, waren Hundert Drachen hier, und es waren 10 000 Leute da. Das war für mich wirklich spannend.
Wie viele Bruchlandung hattest Du schon?
Sicherlich gab es da einige. Wir stehen immer schnell negativ in den Schlagzeilen und unser Sport hat mit diesem Image zu kämpfen. Ein Gleitschirmflieger ist letztens nur aus Dummheit im Baum gelandet, weil er die Wiese nicht erwischt hat. Das ist dann eine riesige Schlagzeile. Es ist bei weitem nicht so gefährlich, wie es ausschaut. Das Gefährliche ist nur, wenn Du keine Wetterkenntnisse hast und meinst, man kann bei jedem Wetter fliegen. Manche machen das, obwohl über dem Arber ein Riesengewitter in 10 000 Meter Höhe steht. Dann muss ich sagen, wenn was passiert, brauchst Du dich nicht beschweren. Wir sind wetterabhängig. Wenn du nur am Wochenende Zeit hast, kann es sein, dass du den Sport betreibst und das ganze Jahr nicht einmal richtig zum Fliegen kommst.
Wie hoch steigt ein Pilot wie Du auf?
Wir haben Luftbeschränkungen, an die wir uns halten müssen. Wir haben hier den Luftraum München und der beginnt bei 3046 Meter Meereshöhe. So hoch darfst Du fliegen und so hoch sind wir schon oft geflogen. Es gibt natürlich auch Flüge, wo Du noch höher fliegen kannst. Manche waren schon auf 4000 Höhenmeter. Am Osser hinten geht das ganz gut. Da bist du schon je nach Wetterlage über den Wolken. Die Luft kühlt pro 100 Meter um 0,6 bis 1 Grad ab. Wenn es im Sommer 35 Grad heiß ist, hast du auf 3500 Meter Höhe eine Temperatur von 0 Grad, wie im Winter fast.
Bekommt man es in vier Kilometern Höhe nicht mit der Angst zu tun?
Von zehn Fliegern hören neun nach einem Jahr oft wieder auf. Du machst deine Ausbildung in ruhigen Verhältnissen, dann bekommen sie den Schein und der Lehrer sagt, viel Spaß damit. Wir waren heute am Startplatz Rusel, da geht es schon manchmal richtig wild ab. Stell dir vor, du fährst mit dem Moped 30 km/h. Es gibt Phasen, da treibt Dich der Wind mit 30 km/h nach oben. Das ist so, als würdest Du in einem Kaufhaus mit dem Lift in zehnfacher Geschwindigkeit nach oben fahren. Der Pilot darf nicht verkrampfen. Es ist reine Kopfsache, es hat nichts mit Kraft zu tun. Wenn Du sagst, ich möchte von da nach dort fliegen, sagt der Schirm manchmal, er will das absolut nicht. Manche meinen, er sollte es trotzdem tun, dann macht er aber ein Problem, weil der Pilot den Schirm, auf Deutsch gesagt, vergewaltigt.
Welche Veränderungen beim Klima beobachtest Du nach rund 20 Jahren Fliegerei?
Ich sage immer, den Klimawandel sehe ich jetzt nicht so. Entscheidend ist der Jetstream. Vor zehn bis 15 Jahren war es so, da kam eine Schlechtwetterfront und man sagte, das zieht jetzt durch und zwei Tage später kommt das Hoch mit schönem Wetter. Das haben wir jetzt nicht mehr so. Der Jetstream bewegt sich nicht mehr so stark von West nach Ost, sondern er bleibt relativ fest auf 10 000 Meter. Wir haben deswegen Wetterlagen, die halten sechs Wochen her, da haben wir immer fast das gleiche Wetter. Das macht das Fliegen auch nicht gut, weil die Luft oft ganz giftig wird mit den Strömungen nach oben und nach unten. Das ist das Wilde am Fliegen.
Im Jahr 2012 hast Du den Deutsche Meistertitel im Gleitschirmfliegen gewonnen. Wie sieht so ein Wettbewerb aus?
Früher hat man angekündigt, welches Ziel man anfliegen möchte und musste das mit dem Fotoapparat dokumentieren. Wer das Bild hatte, bekam dafür Punkte. Heute ist die Königsdisziplin das Dreieck-Fliegen, wie beim Segelfliegen auch. Sagen wir, ich fliege insgesamt 100 Kilometer, dann fliege ich 28 Kilometer in eine Richtung. Von den restlichen 62 offenen Kilometern fliege ich je 31 in einem Dreieck zum Anfangspunkt zurück. Damals, als die ich Deutscher Meister geworden bin, bin ich gern in die Alpen gefahren, weil dort auch Flugzeiten bis zu zehn Stunden möglich sind. Bei den Wettbewerben bin ich 240 Kilometer-Dreiecke geflogen bis zum Alpenhauptkamm. Es gibt auch eine Bundesliga beim Drachenfliegen und Gleitschirmfliegen.
Gibt es einen Flug, der für Dich unvergesslich war?
Das schönste Gebiet, das wir haben, ist der Bayerische Wald. Er ist so unterschiedlich, du hast die vordere, mittlere und die hintere Bergkette. Das Schönste für mich ist der Nationalpark. Wenn wir vom Falkenstein bis zum Lusen fliegen, werden die Berge höher und dann kommt die Hochebene in der Tschechei, die macht es richtig spannend. Du hast ein Fluggerät mit relativ geringer Gleitleistung und in diesem Fall bist Du auf die Thermik angewiesen. Du kannst nicht überall landen und wenn Du irgendwo landen musst, musst Du schon mal zwei bis drei Stunden raus gehen mit dem ganzen Gepäck. Und die Landschaft ist einfach der Wahnsinn. Letztes Jahr war alles ausgetrocknet, heuer ist alles grün, so wie hier am Büchelstein. Der Nationalpark, die toten Bäume, gleich daneben wächst wieder was nach. Man muss der Natur einfach seine Zeit lassen.